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Die Fallenstellerin Josepha Gasch-Muches Glasobjekte

 

 

Samstag, 25. Februar 2006

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Seit 1998 arbeitet Josepha Gasch-Muche mit Glas. Es ist eine späte Entdeckung, denn sie hatte sich zuvor viele Jahre mit Zeichnung und Radierung beschäftigt, hatte von dort zu Strukturbildern gefunden, bei denen sie Drahtreste, Eisenspäne und Graphitstaub verwendete. Solche Offenheit für Materialexperimente mag ihrem Lehrer Boris Kleint zu verdanken sein, in dessen an Johannes Itten anschließender „Bildlehre“ die Beschäftigung mit der „Stofflichkeit“ verschiedener Materialien eine wichtige Rolle spielte. Für die Arbeit mit Glas scheint Kleints Beobachtung wichtig, dass „verschiedene Arten von Materie [….] nicht denselben Grad konkreter Stofflichkeit“ haben. Es gibt, nach Kleint, „Grade der Materialität“; „ungefärbtes Glas und Flüssigkeiten haben – für ihn – einen sichtbar geringeren Materiegrad als undurchsichtige und feste Stoffe“ (Bildlehre, 2. Aufl., Basel 1980, S. 40). „Materialität“ ist aber keine Konstante, die einem Stoff unabänderlich zukommt. Sie kann sich durch die Einwirkung äußerer Kräfte verändern: „In der Zerstörung zeigt Material sein wahres Gesicht“ (S. 44).

Die Art, wie Josepha Gasch-Muche Glas verwendet, lässt sich unschwer mit solchen Überlegungen in Verbindung bringen, auch wenn es in Kleints Unterricht nicht explizit vorkam; sie benützt ein ganz spezielles, extrem dünnes Glas (0,03 – 1,1 mm) von höchster Reinheit, das eigentlich für Displays von Mobiltelefonen und ähnlichen technischen Geräten bestimmt ist. Dieses Glas bricht sie mit der Zange in Stücke, in unregelmäßig geformte, kleine Scherben, die das Ausgangsmaterial ihrer Arbeiten sind. Eng geschichtet, sich teilweise überdeckend werden die Glasplättchen auf einer Trägerplatte – Holz, weiß oder schwarz grundiert, gelegentlich mit Leinwand bespannt – fixiert, in den meisten Fällen zu geometrischen Figuren – Kreis, Dreieck, Würfel – in ebener oder perspektivischer Darstellung geordnet. Fast immer wählt Josepha Gasch-Muche große Formate, bis zu 2 x 2 m, für die sie Tausende größerer und kleinerer Scherben benötigt. Deren Umriss ergibt sich mehr oder weniger zufällig aus dem Akt des Brechens, die Anordnung und Ausrichtung auf der Bildfläche in einem bestimmten Neigungswinkel erfolgt dafür mit um so größerer Präzision. Denn von der Exaktheit der Ausführung hängt ihre Wirkung ab. Wie aufgestellte Schuppen übereinander liegend, bilden die Glasplättchen ein zartes Relief, das jedoch unter einem bestimmten Blickwinkel betrachtet als homogene Fläche erscheint. Vielleicht nur für einen Augenblick. Denn mit der geringsten Veränderung in der Position des Betrachters, mit dem Wechsel der Blickrichtung ändert sich das Aussehen des Bildes, das aus zahllosen kleinen Splittern besteht, in denen sich das Licht durch wiederholte Spiegelung, Streuung und Brechung verfängt. So kann, beeinflusst von den Lichtverhältnissen und Farben des umgebenden Raums, der Eindruck einer glatten Fläche von perlmuttartigem Glanz entstehen, die sich mit einem Schritt, mit einem Drehen des Kopfs in eine diffuse, wolkige oder fellartige Struktur verwandelt. Geraten die Bruchkanten in den Blick, zeigen sich dunkle Striche, bald als dichte Schraffuren, bald als einzelne Nadeln, die an Rutileinlagerungen in Quarzkristallen erinnern. Bei den perspektivischen Darstellungen sind die Glasplättchen auf den drei Flächen des Würfels in unterschiedlichen Richtungen angeordnet, je nach Blickwinkel stellt sich ein positives oder negatives Bild, eine offene oder geschlossene Form ein, ragt der Würfel plastisch nach vorn in den Raum oder weicht in die Tiefe zurück. Zum Eindruck von Körperlichkeit oder schwerelosem Schweben trägt nicht zuletzt die Farbe des Untergrunds, Weiß oder Schwarz, bei, die sich dem transparenten Glas mitteilt. Das wird besonders deutlich bei einigen Tafeln, bei denen abwechselnd Schwarz und Weiß in Streifen angeordnet sind. Welchen Standpunkt der Betrachter auch immer einnimmt, die Objekte von Josepha Gasch-Muche bleiben unfassbar, entziehen sich, wechseln ihre Oberfläche und Gestalt. Sie sind aus Holz und Glas gefertigt, bestehen aber aus Licht. Sie scheinen bald von innen zu glühen, bald tiefe, dunkle Räume zu eröffnen, in denen fern unbekannte Sternbilder aufblitzen. Man hat mit gewissem Recht auf ihre Nähe zu Arbeiten der Zero-Künstler hingewiesen (Horst Schulte, in: Glashaus 2/2005), wird dabei besonders an die seit den späten 1950er Jahren von Heinz Mack geschaffenen Lichtreliefs aus poliertem Aluminium denken, die „ein wesentliches Merkmal des Phänomens Licht, nämlich die Freiheit von Gestalt, zum Ausdruck“ bringen und die Bewegung des Betrachters als Voraussetzung einer „’bildimmanenten’ Dynamik“ einbeziehen (Thomas Beck, Licht als Thema im Werk von Heinz Mack, in: Zero-Studien, hrsg. v. Klaus Gereon Beuckers, Münster 1997, S. 16). Auch in Nagelbildern von Günther Uecker mag man da und dort eine verwandte Dynamik entdecken. Die historische Distanz einmal außer Acht gelassen, die Josepha Gasch-Muche vom radikalen künstlerischen Aufbruch am Ende der konservativ verhärteten 1950er Jahre trennt, behalten ihre Arbeiten gegenüber Macks Lichtkunst stets eine, wenn auch zurückgenommene Materialität und Körperlichkeit. Sie verleiht ihnen einen malerischen Charakter und erlaubt es, obwohl der Abstand vom klassischen Tafelbild unübersehbar ist, von Bildern zu sprechen. Auch wo die Körperhaftigkeit stärker hervortritt, wo Kreise sich zu Ringen oder Kuppeln wölben, deren Ränder sich in einer Zone fließenden Übergangs von der Materie zum umgebenden Raum beinahe, aber eben doch nicht ganz verflüchtigen, bleibt der malerische Charakter vorherrschend. Er bestimmt das Fluktuieren zwischen Materialität und Immaterialität, das den Reiz der Arbeiten von Josepha Gasch-Muche ausmacht. Ihm entspricht die Spannung zwischen Chaos, Zerstörung auf der einen und Ordnung auf der anderen Seite, wobei Chaos und Zerstörung dem zerbrochenen Glas als reiner Materie zugeordnet sind – thematisiert in einer Arbeit aus mit Graphitstaub schwarz gefärbtem Glas, dessen Trümmer wie durch eine Explosion in den Raum geschleudert werden –, während eine strenge, präzise Ordnung diese Materialität überwindet und in ständig sich wandelnder Form aufhebt. Josepha Gasch-Muches Arbeiten haben eine Aura. Das heißt aber auch, dass sie sich der Reproduzierbarkeit verweigern.

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Peter Schmitt, bis 2004 als Hauptkonservator für Angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts am Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Deutschland, Neues Glas 2/2006

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